Im Rückspiegel: 50 Jahre Opel GT – und ein Widerwort zum Werbespruch
„Nur Fliegen ist schöner…“ – diese vier Worte reichen aus, um Sehnsüchte und pure Emotionen zu wecken. So wie der Slogan als Klassiker in die Werbegeschichte einging, so ist der Beworbene selbst zum Klassiker geworden: Vor 50 Jahren rollte der erste Opel GT vom Band, der sich zu einem betörenden Klassiker der Automobilgeschichte entwickelt hat.
Opel GT (1968–1973). Foto: Auto-Medienportal.Net/Opel
Die Karriere des Opel GT begann genau genommen nicht vor 50, sondern vor
53 Jahren – mit einem Paukenschlag: Auf der IAA 1965 in Frankfurt
präsentierte das Rüsselsheimer Unternehmen einen zweisitzigen
Sportwagen, der mit seiner aufregenden Karosserielinie, dem flachen Bug
mit Klappscheinwerfern, bauchigen Kotflügeln und scharfer Abrisskante am
Heck mit den Konventionen des europäischen Automobildesigns brach.
Vielmehr erinnerte sein Äußeres an die stark taillierte Form der
klassischen Coca Cola-Flasche, deshalb auch „Coke Bottle Shape“ genannt.
Entsprechend wiesen die Verantwortlichen den „Experimental-GT“ – das
erste Konzeptfahrzeug eines deutschen Herstellers – zunächst als
einzelne Hochleistungsstudie aus. Entworfen haben das außergewöhnliche
Fahrzeug die Designer um Erhard Schnell im nigelnagelneuen Rüsselsheimer
„Styling-Studio“ – dem ebenfalls ersten Designcenter eines
Automobilherstellers in Europa.
Opel GT (1968–1973). Foto: Auto-Medienportal.Net/Opel
Erhard Schnell erinnert sich, wie geheim die Entwicklung des
Experimental GT war: „Am Anfang war sie ein Alleingang von uns im
Styling. Mein Chef hatte den Vorstand nicht eingeweiht. Als die Studie
dann fast fertig war und auf der IAA gezeigt werden konnte, kam er aber
nicht drum herum, seine Vorgesetzten zu informieren. Wir hatten wirklich
große Bedenken, als der Experimental GT zum ersten Mal intern
vorgeführt wurde. Uns ist dann ein riesiger Stein vom Herzen gefallen,
als die hohen Herren spontan applaudiert haben und völlig hingerissen
waren.“
Opel GT (1968–1973). Foto: Auto-Medienportal.Net/Opel
Das Publikums- und Medienecho auf der IAA war überwältigend: Niemals
hätte man von Opel einen derart extravaganten Sportwagen erwartet. Von
dem mutigen Design waren Presse und Besucher mehr als beeindruckt. Und
so kam es, dass sechs Jahre nach den ersten Designskizzen und nur drei
Jahre nach der Initialzündung auf der IAA der GT-Prototyp in Rekordzeit
zum Serienauto reifte.
Opel GT (1968–1973). Foto: Auto-Medienportal.Net/Opel
1968 rollte der erste Opel GT vom Band, zuvor auf Herz und Nieren
geprüft im neuen Opel-Testzentrum Dudenhofen. Das Sportcoupé war schon
damals das Ergebnis einer deutsch-französischen Zusammenarbeit und somit
ein echter Europäer: Die französischen Karosseriebauer Chausson und
Brissoneau & Lotz, bei Opel aufgrund vorangegangener Projekte
wohlbekannt, übernahmen die Press- und Schweißarbeiten der Blechteile
sowie Lackierung und Innenausstattung, in Deutschland fand die Montage
von Fahrwerk und Motor statt.
Opel GT bei seiner Medienpremiere auf dem Hockenheimring (1968). Foto: Auto-Medienportal.Net/Opel
Für die GT-Kunden standen zwei Triebwerke zur Wahl: Ein aus dem Kadett
bekannter 1,1-Liter-Vierzylinder mit 60 PS und ein 90 PS starkes
1,9-Liter-Aggregat aus der Rekord-Baureihe. Von Anfang an besonders
gefragt war der GT 1900: Bei 185 km/h Spitze und einer Beschleunigung
von null auf Tempo 100 in 11,5 Sekunden schlugen die Herzen sportlicher
Autofahrer höher. Serienmäßig gelang die Motorkraft über ein manuelles
Vier-Gang-Getriebe zur Hinterachse. Die optionale Drei-Gang-Automatik
wurde von den europäischen Kunden äußerst selten gefordert, dafür
erfreute sie sich in Übersee umso größerer Beliebtheit.
Legendärer Werbeslogan für den Opel GT (1968–1973): „Nur Fliegen ist schöner…“ Foto: Auto-Medienportal.Net/Opel
Die Karosserie des Serienfahrzeugs unterschied sich erheblich vom Ur-GT –
zu seinem Vorteil: Die Frontpartie fiel voluminöser aus, der vordere
Überhang war kürzer. Ausbuchtungen für den Ansaugtrakt – die „Nüstern“ –
ermöglichten eine flachere Motorhaube, die eckigen Klappscheinwerfer
des Experimental-GT wichen runden „Schlafaugen“, die dem Sportcoupé ein
unverwechselbares, noch emotionaleres Gesicht gaben. Zugleich sorgte die
Linienführung für eine gute Aerodynamik und dafür, dass das Auto trotz
des legendäre Werbespruchs nicht die Bodenhaftung verlor: Die hintere,
umlaufende Abrisskante bot ausreichenden Abtrieb, so dass das Coupé auch
bei hoher Geschwindigkeit sicher auf der Straße blieb. Allerdings
hatten die Ingenieure während der Entwicklung genau damit ein, wenn auch
nur journalistisches, Problem: Das neue Modell konnte nirgends
unerkannt zu Testfahrten aufbrechen, denn, so die Presseerklärung von
September 1968, „die aerodynamische Form der GT-Erlkönige ließ eine
Tarnung durch Attrappen einfach nicht zu“.
Opel GT (1968–1973). Foto: Auto-Medienportal.Net/Opel
Ebenso wie beim Außendesign verströmte der Vorzeige-Sportler im
Innenraum mit seinen Schalensitzen, dem Drei-Speichen-Lenkrad und den
modernen Rundinstrumenten ein emotionales Flair. Bei aller Begeisterung,
die die Opel-Konstrukteure mit dem GT auslösten, achteten sie auch auf
den Insassenschutz: Mit Drei-Punkt-Sicherheitsgurten, eingebautem
Überroll- und Seitenaufprallschutz, einem stabilen Fahrgastraum,
abgewinkelter Sicherheitslenksäule und vielen weiteren Vorkehrungen
setzte der GT für seine Zeit Maßstäbe.
Opel GT (1968–1973). Foto: Auto-Medienportal.Net/Opel
Der Zweisitzer war mit seinem tiefen Schwerpunkt, niedrigem Gewicht,
steifer Karosserie und ausgezeichneter Dynamik wie gemacht für den
Motorsport. So fuhren beispielsweise Conrero-GTs Anfang der 1970er Jahre
bei Langstreckenrennen genauso wie bei den Opel-Markenrennen auf dem
Nürburgring Erfolge ein. Dazu kamen weitere technische Highlights: 1971
machte Dr. Georg von Opel, Enkel des Firmengründers, den GT zum Stromer.
Die mittels Elektromotor angetriebene Version erzielte knapp 189 km/h
Spitze und mehrere Weltrekorde.
Opel GT (1968–1973). Foto: Auto-Medienportal.Net/Opel
Im Juni 1972 stellte ein modifizierter Opel GT mit Dieselmotor – auch
„Nagelfeile“ genannt – auf der Hochgeschwindigkeitskreisbahn in
Dudenhofen bei Versuchsfahrten zwei Welt- und 18 internationale Rekorde
auf: Die gestoppte Höchstgeschwindigkeit über die Distanz von 1000
Metern bei fliegendem Start liegt bei 197 km/h – für Dieselfahrzeuge
damals eine Sensation. GT-Designer Erhard Schnell erinnert sich, wie der
GT zu seiner nochmals flacheren Form kam: „Das Ganze durfte nicht viel
kosten. Deshalb haben wir bei einem Auto, das ursprünglich zum Cabrio
umgestaltet werden sollte, einfach das Dach abgeschnitten.“
Opel Elektro-GT (1971). Foto: Auto-Medienportal.Net/Opel
Apropos Cabrio: 1969 schien sich für die Freiluft-Fans unter den
Autofahrern ein weiterer Traum zu erfüllen, als Opel den Aero GT mit
elektrisch versenkbarer Heckscheibe und abnehmbarem Dach auf der IAA
vorstellte. Doch zum Leidwesen vieler Fans blieb der offene GT eine
Studie.
Studie Opel Aero GT (1969). Foto: Auto-Medienportal.Net/Opel
Nichtsdestoweniger begeisterte der Serien-GT bis zu seinem
Produktionsende 1973 die Kunden: Seine Leistung, das unvergleichliche
Design und der attraktive Einstiegspreis von nur 10 767 Mark machten den
Sportwagen zum Renner in der Käufergunst, der alle Erwartungen
übertraf. In nur fünf Produktionsjahren wurden 103 463 Stück gebaut.
Sowohl die europäischen als auch die amerikanischen Kunden liebten das
extravagante Opel-Modell – das hin und wieder auch als „Corvette des
kleinen Mannes“ bezeichnet wurde. Schauspieler und GT-Fahrer Ken Duken
widerspricht allerdings Opel und dem Slogan von damals: „Die Werbung
lügt. Fliegen ist gar nicht schöner!“
Conrero-GTs fuhren Anfang der 1970er Jahre Erfolge im Motorsport ein. Foto: Auto-Medienportal.Net/Opel
Zum Auftakt des Jubiläumsjahres geht der Opel GT Anfang Mai bei der
Bodensee-Klassik an den Start. Und auch auf weiteren Veranstaltungen
können die Fans die automobile Stilikone in den kommenden Monaten
erleben, zum Beispiel beim Klassikertreffen in Rüsselsheim im Juni.
Text: ampnet/jri
Der Opel GT wurde im ersten Designcenter eines Automobilherstellers in Europa entworfen. Foto: Auto-Medienportal.Net/Opel
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