Exklusiv: Überdachte Zündkerze: Zum 60. Geburtstag spricht der legendäre Trabi
Alle nennen mich Trabi. Wahrscheinlich, weil ich so niedlich bin. Mit vollem Namen heiße ich Trabant 601. So möchte ich auch genannt werden, denn ich bin ein vollwertiges Auto. Die ersten Jahre fand ich es gemein, wenn mich jemand „Trabi“ rief. Das klang, als sei ich nach einem zu heißen Bad eingelaufen. Inzwischen habe ich mich aber daran gewöhnt und empfinde die Bezeichnung sogar als Liebkosung.
Trabant Universal 1.1 LE von 1990 am ehemaligen Checkpoint Charly. Foto: Auto-Medienportal.Net/Voigt
Geboren wurde ich im August 1958. Das war ein großer Moment, denn ich
ging in Serie. Mein Name lautete damals noch Trabant P 50. Meine Eltern
heißen VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau. In den ersten Jahren
bekam ich 140 000 Brüder, als ich noch P 50 hieß. Später, nachdem ich
umgetauft wurde, gab es mehr als 2,5 Millionen Verwandte.
Ich weiß, die Wessis lachten lange über mich, weil ich mit meinen
anfangs 18 PS aus 500 Kubikzentimeter Hubraum keine Sprotte vom Teller
ziehen konnte. Aber 1964 ging ich eine Zeit lang in die Muckibude und
kam gestärkt mit 26 PS wieder raus. 100 fahr’ ich seither locker,
vollbesetzt mit vier Mann und Gepäck. Sicher, es ist eng. Doch dass ich
das leiseste Auto der Welt sein soll, weil man sich beim Fahren
zwangsläufig mit den Knien die Ohren zuhält, das finde ich unerhört. So
krumm sitzt bei mir keiner. Ihr Wessis sagt so was ja nur, um mit euren
Kisten glänzen zu können.
Die Menschen in der ehemaligen DDR waren froh, dass es mich gab. Sonst
hätten die meisten nämlich mit dem Fahrrad fahren müssen. Ich bin stolz
auf mich, schließlich bin ich doch so was Ähnliches wie euer alter
Volkswagen, der Käfer. Der war ebenfalls laut, eng, unpraktisch und
hatte mit 34 PS auch nicht viel mehr Kraft als ich.
Von Geburt an habe ich Frontantrieb. Dass der gerade im Winter ungeheure
Vorteile hat, weil man nämlich im Schnee besser vorankommt, wussten
meine Väter von Anfang an. Ihr Wessis habt das erst viel später
begriffen. Lange habt ihr Heckschleudern gebaut, die bei glatter Piste
mit durchdrehenden Rädern für unfreiwillige Pirouetten sorgten.

„Go Trabi go forever“: Wolfgang Stumph in einem hellblauen Trabant - wie im Film von 1991. Foto: Auto-Medienportal.Net/MDR
Ich weiß, meine Heizung taugt nichts. Dafür hab’ ich aber einen großen
Vorteil in die Wiege gelegt bekommen, von dem ihr lange nur träumen
konntet: Ich roste nicht. Denn meine Karosserie besteht aus Duroplast.
Das ist ein Kunststoff. Während euer Käfer schon im Prospekt zu rosten
anfingen und mancher bereits ein paar Jahre später Kurs auf den
Schrottplatz nehmen musste, fahren von mir immer noch tausende Brüder
ohne jede Roststelle rum.
Neumodischen Firlefanz kenn’ ich nicht. Elektronik? Ich weiß nicht, was
das ist. Seit meiner Geburt hat sich an mir nichts Wesentliches
verändert. Ein „Facelift“, wie ihr das Überarbeiten nennt, hat bei mir
in den 60 Jahren nur ein oder zweimal stattgefunden. Genau weiß ich das
nicht mehr. Ich bin ja schon älter. Wenn ihr sehen wollt, wie toll wir
von der Trabi-Familie sind, dann fahrt nach Zwickau ins
August-Horch-Museum. Dort läuft aus Anlass meines Geburtstages eine
Sonderausstellung bis zum 19. August. Dort dürft ihr meine Verwandten
gerne streicheln.
Unter meiner Fronthaube schlägt seit eh und je ein
Zweizylinder-Zweitakter-Herz. das von einem Gemisch aus Benzin und Öl
lebt. Jahrzehnte nachdem ich auf die Welt gekommen war, gab es auch
Brüder von mir mit einem VW-Motor. Aber darüber will ich nicht reden.
Denn die sind irgendwie nicht echt. Mein Zweitakter macht mich zum
Stinker, sagt ihr. Was hinten rauskommt riecht nicht nur nach
Frittenbude und verbranntem Gummi, sondern verpestet auch noch die
Umwelt. Ihr sprecht von unverbrannten Kohlenwasserstoffen und so’n
Zeugs. Keine Ahnung, was das sein könnte.
Warum habt ihr eigentlich so mitleidig gelächelt, als im November 1989
die Mauer fiel und meine Verwandten zu Tausenden eure Straßen geflutet
haben? Konntet ihr nicht verstehen, dass wir endlich mal auf guten
Straßen ruhig rollen und nicht mehr auf Kopfsteinpflaster hoppeln
wollten? Es macht mich traurig, dass ihr bis heute nur eure Maßstäbe
anlegt. Ihr mit euren Protzkisten. Nehmt mich doch einfach so, wie ich
bin. Und blöd fand ich auch schon immer die Spottnamen für mich, etwa
„überdachte Zündkerze“ oder „Gehhilfe“. Oder Witze wie diesen: Ein Trabi
steht an einer Ampel. Als die von rot auf grün springt, kommt der nicht
weg. Warum? Er steht auf einem Kaugummi.
Damals, beim Mauerfall, bin ich zum Symbol der neuen Freiheit geworden.
Es war schon toll, als mein Vergaser erstmals Westluft eingeatmet hat.
Ich bin fest davon überzeugt, dass ich, der klitzekleine Trabi aus’m
Osten, damals nicht nur das Auto des Jahrhunderts war, sondern das des
Jahrtausends. Denn mit mir hat sich ein ganzes Volk auf den Weg in die
Freiheit gemacht. Das macht mir keiner nach.
Text: ampnet
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