Historie und Histörchen (47): Was Dolfi dem Konzernherrn in die Hand versprach
Diese Situation brachte den sonst so wendigen Konzern-Chef Henry Ford II. total in Verlegenheit: Im Köln-Deutzer Verwaltungshochhaus der Kölner-Ford-Werke wurde ihm im Frühjahr 1969 der neue Vorstandsvorsitzende von Ford-Deutschland vorgestellt. Und der hieß mit Vornamen genauso wie der verhasste Anstifter des Zweiten Weltkriegs, Adolf Hitler. Ganz verunsichert reichte der Konzernchef dem tüchtigen Hans Adolf Barthelmeh die Hand und fragte gleich verlegen: „Darf ich Dolfi zu Dir sagen?“ampnet – 8. Oktober 2018 Von Hanns-Peter von Thyssen-Bornemissza
Hans Adolf Barthelmeh war seit Herbst 1968 der Star der Ford-Organisation in Deutschland. Er hatte sich mit viel Fleiß zum Top-Verkäufer hochgearbeitet, wurde dann Vertriebsdirektor und weil seine Verkaufserfolge des neuen Sportwagens Capri alle überraschten, führte kein Weg mehr daran vorbei, ihn auf den Chefsessel zu heben.
Der Capri war im Grunde ein europäischer Bruder des amerikanischen
„Mustang“, eine Kreation des amerikanischen Ford-Chefs Lee A. Iacocca.
Der ließ damals einen viersitzigen Pseudo-Sportwagen mit langer
Motorhaube und kurzem Stummelheck entwickeln, der solide Pkw-Technik
unterm Blech bot. Die Jugend war begeistert, innerhalb eines Jahres
wurden allein in den USA eine Million Exemplare verkauft. Kein Wunder,
dass in einem internationalen Konzern gleich versucht wurde, etwas
Ähnliches auch auf anderen Kontinenten zu schaffen.
Die englische Filiale in Dagenham sprang als erste an. Von ihrer
Mittelklasse-Limousine Consul wurde sofort ein viersitziges Coupé
zusammengeschneidert, mit einem flacheren Dach und einer Ausstattung,
die als „kitschig“ beschrieben wurde, denn die Linie war arg verspielt:
Fünf verchromte Sternchen zierten den Bug, am Heck lockten angedeutete
Heckflossen. Durch die schwülstigen Blechformen, sowie die verspielten
glänzenden Kunststoff-Fäden in den Polstern im Innern wurde das Consul
Coupé mit der Zusatzbezeichnung „Capri“ im Volk bald verspottet. Der
Wagen besaß anfangs einen 1,4 Liter-55 PS-Motor, später einen 1,5
Liter-60 PS-Motor. Das Coupé gehörte zudem in jener Zeit zu den
besonders schlecht verarbeiteten Autos.
Der damalige Ford-Chef John Andrews ließ sofort ein solches Coupe
„Consul Classic Capri Coupe 335“ nach Köln kommen. Auf dieser Basis
entstand ein flach gebautes Sportcoupé mit über die Front gezogenem
Kühlergrill, in dem außen Rechteck-Scheinwerfer saßen. Durch das kleine
Stummelheck ließ sich ein ordentlicher Kofferraum gut beladen. Technisch
ging es konventionell zu. Die Hinterräder hingen an einer Starrachse,
der Motor saß vorn längs im Motorraum. Eingebaut wurden Motoren mit 1,3
Liter-50 PS, mit 1,5-, 1,7- oder mit 2,0 Liter Hubraum. Es gab später
sogar eine Sechszylinder-Version mit 2,3 Liter Hubraum, die an einer
Lufthutze auf der Motorhaube zu erkennen war. Der Capri trug auf der
Seite einen durchgehenden Karosseriefalz, der am Heck nach unten zeigte.
Innerhalb dieser Blech-Falte lagen zwei funktionslose Lufteintritte.
Seine Premiere feierte der Sportwagen im Januar 1969 zum Brüsseler
Autosalon. Seine Produktion begann im November 1968 – vor 50 Jahren. Der
Capri wurde aufgrund seines günstigen Preises ein Verkaufsschlager, der
danach 16 Jahre mit immer weiteren Verbesserungen gebaut wurde.
Bemängelt wurde von Kundschaft und Testern in der Hauptsache die
altmodische hintere Starrachse.
Fünf Jahre lang füllte der Capri in Köln und Dagenham die
Auftragsbücher. Ende Januar 1974 – mitten in der Ölkrise – stand ein
Wechsel bevor: Der Capri II erschien. Gegenüber seinem Vorgänger war der
Capri II bei der deutschen Ford-Filiale unter dem begabten Chefdesigner
Uwe Bahnsen entworfen worden. Die Proportionen des Vorgängers mit
langer Motorhaube und Stummelheck wurden beibehalten. Vorn trug der
Capri II einen anderen Kühlergrill und eine geglättete Motorhaube.
Bahnsen entwickelte zusammen mit Ford-Technikern neuartige Lamellen im
Kühlergrill, bei denen nur die gerade zur Kühlung des Motors notwendige
Luft durchgelassen wurde. Erfolg: ein etwas niedrigerer Benzinverbrauch.
Ford ließ sich dieses Lamellen-System patentieren. Von diesem Patent
machten später auch andere Marken Gebrauch.
An der Seite entfielen die längslaufenden Blechfalze, sowie die blinden
Lüftungsöffnungen vor den Hinterrädern. Die abgesenkte Gürtellinie
ermöglichte größere Fensterflächen. Das Heck trug eine große Heckklappe
statt des kleinen Kofferraumdeckels beim Vorgänger. Nach wie vor trug
der Capri II eine hintere Starrachse und Einzelradfederung vorne. An der
Motorisierung änderte sich ebenfalls wenig. Der 1,3 Liter-Taunus-Motor
wurde gegen den 1,3 Liter-Vierzylinder vom Escort ausgetauscht. Sonst
reichte die Auswahl vom 1,6 Liter-Vierzylinder bis hinauf zum 2,3
Liter-Sechszylinder.
Die dritte Modellvariation erschien 1978 und wurde bis etwa 1986 gebaut.
Flaggschiff wurde im Oktober 1970 der Capri RS 2600, ein besonders
sportliches Auto. Für nicht einmal 16 000 DM erhielt man ein Fahrzeug,
das es mit jedem Porsche aufnehmen konnte. Doppelscheinwerfer,
Fahrwerkstieferlegung und eine mattschwarze Motorhaube sorgten für den
entsprechenden Auftritt im Rückspiegel des Vordermanns.
Der Capri RS 2600, dessen Basis der Capri 2300 GT war, wurde auf
Initiative des damaligen Leiters der Ford RS-Abteilung, Jochen
Neerpasch, entwickelt und diente zur Homologation in der Gruppe 2 der
Tourenwagen über 2600 ccm. Dazu mussten im ersten Jahr 1000 Fahrzeuge
gebaut werden. Um das Homologationsgewicht von 900 kg zu erreichen,
wurden auch Wettbewerbs-Versionen ab Werk angeboten, die auf dem Genfer
Autosalon 1970 vorgestellt wurden.
Der so genannte Leichtbau-Capri, von dem ca. 50 Stück gebaut wurden,
hatte GFK-Türen mit Kunststofffenstern, einen GFK-Kofferraumdeckel, eine
GFK-Motorhaube, keine Stoßstangen, keine Heizung und Magnesiumfelgen.
Außerdem hatten auch nicht alle "Plastikbomber" einen Einspritzmotor.
Einige Fahrzeuge wurden nur mit einem 2,6 l-Vergasermotor ausgeliefert.
Im Innenraum wurde der Wagen mit leichtgewichtigen Rennschalensitzen mit
fester Rückenlehne ausgestattet. Auf Dämmmaterial wurde aus
Gewichtsgründen verzichtet. Dieses Fahrzeug wurde 1970 und 1971
angeboten und hatte ein sensationelles Leistungsgewicht von 6 kg/PS.
Damit wurde der Grundstein zu einer ausgesprochen erfolgreichen
Sportlerkarriere Anfang der 70er Jahre gelegt. Der V6-Motor der
RS-Straßenversion, mit 2637 ccm Hubraum, war mit einer mechanischen
Kugelfischer-Einspritzanlage ausgerüstet und leistete offiziell 150 PS.
Diese Angabe war jedoch tiefgestapelt, die meisten Fahrzeuge hatten
zwischen 160 und 170 PS. Somit waren auch die für damalige Verhältnisse
hervorragenden Fahrleistungen zu erklären (0-100 in ca. 7,7 bis 8,0 sec.
und eine Höchstgeschwindigkeit von über 200 km/h). Das Fahrzeuggewicht
lag bei nur 1050 kg. Dies machte den Capri zu einem überlegenen
Reisesportwagen.
Ab Mai 1972 wurde dann der RS mit einer Weiterentwicklung der
Kugelfischer-Einspritzanlage (Typ C) angeboten. Das Ziel war es
natürlich, weiterhin den Kraftstoffverbrauch zu senken. Außerdem kam
dazu, dass der Gesetzgeber die Abgasvorschriften verschärfte und so
musste auch diesem Umstand Rechnung getragen werden. Ende 1973 lief der
millionste Ford Capri (natürlich ein 2600 RS) im Ford-Werk Saarlouis vom
Band.
In Halewood wurde der Capri mit diversen Änderungen bzw. Verbesserungen
im Ausstattungs- und Motorenbereich bis Januar 1974 gefertigt. Offiziell
wurde der Capri in Deutschland, ebenfalls mit diversen Änderungen im
Motoren- und Ausstattungsbereich, bis zum Dezember 1973 produziert. Laut
Unterlagen von Ford soll der letzte Capri am 31.10.1974 und der letzte
RS 2600 gar 1975 gefertigt worden sein. Insgesamt wurden in Deutschland
784 000 Capri (davon 3532 Capri RS) hergestellt. 244 000 blieben in
Deutschland, der Rest wurde exportiert.
Das Ende des Capri erlebte Hans Adolf Barthelmeh nicht mehr bei Ford.
Wegen der vielen Kundenwünsche nach einer unabhängigen
Hinterrad-Aufhängung setzte er sich heftig dafür ein, dass künftige
Ford-Modelle eine solche aufwendige Hinterachse bekommen sollten.
Gegenüber Henry Ford II. ließ sich Barthelmeh dafür zu großen
Versprechungen hinreißen. „Wenn der neue Wagen eine solche
Hinterradaufhängung bekommt, mache ich den Consul/Granada zum
meistgekauften Mittelklassewagen Deutschlands“, versprach Barthelmeh
Henry Ford in die Hand. Henry Ford glaubte ihm und sorgte mit all seiner
Macht für eine solche Aufhängung.
Als im März 1972 der neue Consul/Granada auf den Markt kam – mit
unabhängigen aufgehängten Hinterräder –, kauften die Deutschen trotzdem
nicht mehr Fords. Da die bisherigen Modelle Taunus 17 M und 20 M
wegfielen, der Neue nicht ankam, blieb am Jahresende 1972 eine
verheerende Bilanz: Ford, bisher Nummer 3 in der Zulassungsstatistik,
rutschte auf hintere Plätze ab. Barthelmeh mußte im März 1972 abtreten,
„Aus persönlichen Gründen“ wie es offiziell hieß. An seine Stelle trat
Bob Lutz. Einige Monate später fand Hans Adolf Barthelmeh, inzwischen
57, bei der großen Werzeugmaschinenfabrik Gildemeister einen neuen
Chef-Posten.
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