Im Bücherregal: Frontlenker gegen Kaffee und Südfrüchte
Noch ist er hin und wieder zu sehen, doch auch der IFA W 50 verschwindet zunehmend aus dem ostdeutschen Straßenbild. In Zeiten kubischer Fahrerhäuser stach der Fünf-Tonner aus Ludwigsfelde durch seinen minimalen Vorbau aus der Masse hervor. Frank Rönicke hat sich nun auch dieses ehemaligen DDR-Fahrzeugs angenommen und seine Geschichte festgehalten.
Der Fahrzeugbau in der DDR ist ohne die wirtschaftlichen Anweisungen aus
Moskau nicht zu verstehen, mit denen den Ostblock-Ländern seinerzeit
klipp und klar bestimmte Vorgaben gemacht wurden. So kam 1956 die
Direktive, dass in der DDR nur noch Lastwagen bis fünf Tonnen zulässigem
Gesamtgewicht gebaut werden sollten.
„IFA W 50 / L 60 – Die DDR-Frontlenker-Legende“ von Frank Rönicke. Foto: Auto-Medienportal.Net/Motorbuch-Verlag
Die ersten 30 der insgesamt knapp 140 Seiten widmet der Autor der
Vorgeschichte des W 50 mit den vorangegangenen Haubertypen Horch H 3, H 6
und IFA S 4000. 1962 entstanden in Werdau die Prototypen des zunächst
als 4,5-Tonner ausgelegten W 45, der drei Jahre später schließlich als W
50 L (Werdau, 5,0-Tonner, Lastwagen) in Produktion ging. Allerdings
hätte er da schon L 50 heißen müssen, denn zwar war er in Werdau
entwickelt, aber gebaut wurde er dann letzten Endes im Werk Ludwigfelde.
Das hatte die damalige Daimler Benz AG kurz vor Ausbruch des Zweiten
Weltkriegs zum Bau von Flugzeugmotoren errichtet. Nach 1945 wurden dort
die DDR-Roller Wiesel, Pitty, Berlin und Troll gebaut, deren Schicksal
mit Beginn der Lkw-Fertigung besiegelt war.
Auch am W 50 offenbarte sich die Mangelwirtschaft. Bis zu 80 Prozent der
Fahrzeuge gingen in den Export, unter anderem im Tausch gegen Kaffee
und Südfrüchte. Allein rund ein Sechstel der gesamten Produktion landete
laut Rönicke in Ungarn, jeweils um die 70.000 Fahrzeuge im Irak und in
China. Und nach Vietnam wurden beispielsweise immerhin 19.000 Stück
ausgeführt. Es liegt auf der Hand, dass da bei einer Gesamtzahl von am
Ende 593.000 gebauten W 50 und L 60 in über 25 Jahren der Bedarf im
eigenen Land nie auch nur halbwegs gedeckt werden konnte. Vor allem die
Landwirtschaft, der der W 50 groß versprochen worden war, guckte in die
Röhre. Erst neun Jahre nach Produktionsbeginn kam beispielsweise der
Viehtransporter auf den Markt.
1987 rollte – das Tonnen-Limit war angehoben worden – der Nachfolger L
60 vom Band, nun endlich mit Sechs-Zylinder-Motor und deutlich mehr
Leistung. Drei Designentwürfe, einer davon durchaus futuristisch
anmutend, waren zuvor wieder in der Schublade verschwunden. Verworfen
wurde auch die Idee, einfach ein Volvo-Fahrerhaus – die Pkw der Schweden
wurden gerne in der DDR als Staatskarossen genutzt – auf das
IFA-Fahrgestell zu setzen. Es fehlte einfach das Geld, und so blieb es
auch nach über 20 Jahren beim bekannten Anblick. Lediglich der leicht
hervorgezogene Kühlergrill machte den äußerlichen Unterschied. Doch das
Ende der Baureihe war mit dem L 60 ja ohnehin schon nahe, auch wenn das
damals natürlich niemand ahnen konnte. Da half nach der Wende auch kein
Versuch mehr mit einer Mercedes-Kabine zu retten, was nicht zu retten
war. Ende 1990 war Schluss – und Mercedes-Benz zog wieder in
Ludwigsfelde ein.
Frank Rönicke liefert viele Bilder, von denen einige zeitgenössische
Aufnahmen in der Druckqualität schwächeln, was aber zu verschmerzen ist.
Ein echter Fundus für den Lkw-Fan ist unter anderem der siebenseitige
Abdruck aller Grundversionen von 1984, denn der Einheits-Lkw der DDR bot
nicht nur drei verschiedene Kabinenausführungen für bis zu zehn
Personen, er war auch als Allradversion und mit Niederdruckreifen
erhältlich sowie als Sattelzugmaschine. Und auch die Aufbauten kamen aus
volkseigenen Betrieben. So gab es den W 50 beispielsweise als
Abschlepp- und Bergefahrzeug, als Autodrehkran, als Fäkalien- und als
Kadaverfahrzeug und Muldenkipper.
„IFA W 50 / L60 – Die DDR-Frontlenker-Legende“ von Frank Rönicke ist im
Motorbuch-Verlag erschienen. Das Buch hat 144 Seiten mit 221 Abbildungen
und kostet 19,95 Euro.
Text: ampnet/jri
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